node created 2019/09/29
Die Muse der Tragödie ist zur Gassenhure geworden, denn jeder deutsche Schlingel notzüchtigt sie und zeugt mit ihr fünfbeinige Mondkälber, welche so abscheulich sind, daß ich den Hund bedauere, der sie anpißt.
"Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung" (1822)
Alle Kreaturen jagen Gott mit ihrer Liebe, denn es ist kein Mensch so unselig, dass er aus Bosheit sündigte; sondern er tut es um seiner Lustgier willen. Es schlägt einer einen tot; das tut er nicht, um etwas Böses zu tun, sondern es dünkt ihn, er selbst käme, solange jener lebt, nimmer in sich selbst zum Frieden; darum will er in Frieden Lust suchen, denn Friede bringt Freude. So jagt alle Kreatur Gott mit ihrer Liebe, denn Gott ist die Liebe. So begehren alle Kreaturen der Liebe. Wäre ein Stein vernünftig, er müsste Gott mit seiner Liebe jagen. Wer einen Baum fragte, warum er seine Frucht trägt, wenn er Vernunft hätte, spräche er: dass ich mich in der Frucht erneuere, das tue ich, um mich von neuem meinem Ursprung zu nähern; denn dem Ursprung nahe sein, das ist lustvoll. Gott ist der Ursprung und ist Lust und Liebe.
In den Vereinigten Staaten ist das politische System nur am Rande von Bedeutung. Es gibt zwei sogenannte Parteien, aber sie sind in Wirklichkeit Fraktionen der gleichen Partei, der Geschäftspartei. Beide repräsentieren eine Reihe von Geschäftsinteressen. Sie können sogar ihre Positionen um 180 Grad wenden, ohne dass es überhaupt jemand merkt.
Interview mit Adam Jones, 20. Februar 1990
Wie könnte man da von einem Schicksal erwarten, dass es einer gerechten Sache den Sieg gebe, da sich kaum einer findet, der sich ungeteilt einer gerechten Sache opfert. – Ich muss hier an eine Geschichte des Alten Testamentes denken, wo Mose Tag und Nacht, zu jeder Stunde, seine Arme zum Gebet erhob, um von Gott den Sieg zu erbitten. Und sobald er einmal seine Arme senkte, wandte sich die Gunst von seinem kämpfenden Volke ab. Ob es wohl auch heute noch Menschen gibt, die nicht müde werden, ihr ganzes Denken und Wollen auf eines ungeteilt zu richten?
22. Mai 1940
Unser Herr spricht zu einer jeglichen liebenden Seele: »Ich bin euch Mensch gewesen, wenn ihr mir nicht Götter seid, so tut ihr mir unrecht. Mit meiner göttlichen Natur wohnte ich in eurer menschlichen Natur, so dass niemand meine göttliche Gewalt kannte und man mich wandeln sah wie einen andern Menschen. So sollt ihr euch mit eurer menschlichen Natur in meiner göttlichen Natur bergen, dass niemand eure menschliche Schwäche an euch erkenne und dass euer Leben zumal göttlich sei, dass man an euch nichts erkenne als Gott.« Und das geschieht nicht dadurch, dass wir süsse Worte und geistliche Gebärden annehmen und dass wir im Geruch der Heiligkeit stehen oder dass unser Name fern und weit getragen werde und wir von Gottes Freunden geliebt werden oder dass wir von Gott so verwöhnt und verzärtelt sind, dass es uns vorkommt, Gott habe alle Kreaturen vergessen bis auf uns allein, und dass wir wähnen, was wir von Gott begehren, das sei jetzt alles geschehen. Nein, nicht also! Nicht das heischt Gott von uns; es steht ganz anders.

Er will, dass wir frei und unbewegt gefunden werden, so man uns nachsagt, wir seien falsche und unwahrhafte Leute, und was man sonst von uns sprechen kann, um uns unsern guten Leumund zu nehmen, und nicht allein, dass man schlecht von uns spricht, sondern auch schlecht gegen uns handelt und uns die Hilfe entzieht, die wir für unsern Lebensbedarf nicht entbehren können, und nicht allein am Bedarf göttlicher Dinge, sondern uns auch an unserm Körper schädigt, dass wir krank werden oder sonst in schmerzliche Mühsal des Körpers verfallen, und wenn die Leute, während wir in allen unsern Werken das allerbeste tun, das wir ersinnen können, uns das zum allerbösesten kehren, das sie ersinnen können, und wenn wir das nicht allein von den Menschen erdulden, sondern auch von Gott, so dass er uns den Trost seiner Gegenwart entzieht und gerade so tut, als wäre eine Mauer zwischen uns und ihm aufgerichtet, und wenn er, falls wir mit unsrer Mühsal zu ihm kommen, um Trost und Hülfe zu suchen, sich dann gegen uns benimmt, wie wenn er seine Augen vor uns schlösse, so dass er uns nicht sehen noch hören will und er uns allein stehen lässt im Kampf mit unsern Nöten, wie Christus von seinem Vater verlassen ward: sehet, dann sollten wir uns in seiner göttlichen Natur bergen, dass wir in unserer Trostlosigkeit so unerschüttert stünden, uns mit nichts anderm zu helfen als allein mit dem Worte, das Christus sprach: »Vater, all dein Wille werde an mir vollbracht.«
"Von guten Gaben"
Das Talent gleicht dem Schützen, der ein Ziel trifft, welches die Uebrigen nicht erreichen können; das Genie dem, der eines trifft, bis zu welchem sie nicht ein Mal zu sehn vermögen.
Ungehindert kannst du dein Leben in größter Seelenruhe hinbringen, wenn auch alle Menschen nach Herzenslust ein Geschrei wider dich erheben, ja wenn selbst die wilden Tiere die schwachen Glieder dieser dich umhüllenden Fleischmasse zerreißen sollten. Denn was hindert deine denkende Seele, trotz alledem sich bei vollständiger Heiterkeit zu erhalten, die Umstände richtig zu beurteilen und die ihr dargebotenen Gelegenheiten erfolgreich zu benutzen? So sagt das Urteil zum Ereignis: Das bist du dem Wesen nach, auch wenn du der Meinung nach anders erscheinst; und die Benutzung spricht zur Gelegenheit: Dich suchte ich eben; denn immer bietet mir die Gegenwart Stoff zur Ausübung einer vernünftigen und staatsbürgerlichen Tugend und soll mir Anlaß geben, meine Pflicht gegen Gott und Menschen zu erfüllen. Steht ja doch jedes Begegnis im innigsten Bezug zu Gott oder zum Menschen und ist mithin nichts Unerhörtes oder schwer zu Behandelndes, sondern vielmehr etwas Bekanntes und Leichtes.
"Selbstbetrachtungen"
Was den SPIEGEL angeht, so übersetzt auch er, aber nicht in einfaches Deutsch, sondern in die Masche. Ich pflücke aufs Geratewohl einige Blüten:

Bei der Schlußfeier der XVI. Olympischen Sommerspiele schickten die australischen Salutschützen dem Muskelkrieg von Melbourne ein martialisches Echo nach. Die Artilleristen Ihrer Majestät der englischen Königin lieferten den aktuellen kriegerischen Kulissendonner zu jenem olympischen Schauspiel, das inmitten einer sehr unfriedlichen Welt zum schlechten Stück geworden war Sie kanonierten die wie einen Zylinderhut aufgestülpte Schlußfeier-Stimmung und alle preisenden Reden von der Gleichheit und Brüderlichkeit unter Sportsleuten zu eitel Schall und Rauch.

Einfaches Deutsch?

Wünschen Sie eine detaillierte Analyse? Entfetten wir versuchsweise den Text, massieren wir die geschwollenen Redensarten weg, reduzieren wir die Posen der Syntax, so bleibt kaum mehr übrig als eine Zeile:

Bei der Schlußfeier der Olympiade wurde Salut geschossen. Das hat uns mißfallen.

Hätte der SPIEGEL sich so ausgedrückt, der Leser, der vielbeschäftigte Mann, hätte nicht nur neun Zeilen überflüssiger Lektüre gespart, er hätte auch einen klareren Kopf behalten. Außerdem könnte er die Nachricht von ihrer Auslegung unterscheiden, die mit Hilfe der Masche hoffnungslos miteinander vermanscht werden.
Um die Welt empathisch zu erproben, muß es dem Säugling zunächst ermöglicht werden, sich der Umwelt nachhaltig zuzu wenden. Dies kann nur dann geschehen, wenn seine Beziehung zur stimulierenden Umwelt durch niedrige Intensitätswerte gekennzeichnet ist. T. C. Schneirla betont in einer langen Folge von Arbeiten, die in der zusammenfassenden Schrift "Eine evolutionäre und entwicklungsorientierte Theorie der biphasischen Prozesse, die dem Zuwendungs— und Vermeidungsverhalten zugrunde liegen" (1959), daß schon bei der Geburt eine primitive, zweigabelige organische Basis für spätere emotionelle Sinnesstimulation existiert. Niedrige (im relativen Sinn) Stimulusintensitäten lösen Reaktionen der Annäherung aus; hohe Stimulusintensitäten bewirken dagegen das Zurückziehen. Das Differential (Unterschied) im Schwellenreiz für die Muskeln, die diese Bewegungen steuern, wird damit zur Grundlage dieser Verhaltensmuster.

Was dadurch entsteht, ist eine Förderung der empathischen Vorgänge, vorausgesetzt, daß zwischen Säugling und Mutter Zuwendung existiert. Nur dadurch, daß die Mutter dem Kind entgegenkommt, ist die Zufuhr der niedrigen Stimulusintensitäten gesichert. Das ist es, was dem Kind nicht nur sein Leben erhält, sondern ihm auch die Basis für seine empathische Sinnesentwicklung gibt.

Dieses Entgegenkommen sichert dem Kind, daß es nicht von einem Übermaß an Stimulation überwältigt wird. J. L. Fuller (1967) zeigt zum Beispiel in seiner Arbeit über Reizverminderung, daß ein Lebewesen nichts lernen kann, wenn es ihm unmöglich wird, sich in einer Stimulussituation auf wichtige Bestandteile dieser Situation zu konzentrieren, indem es andere Elemente ignoriert.

Hier haben wir die wesentliche Substanz des Lernens des Eigenen. Damit es geschehen kann, ist eine Unterscheidung notwendig. Diese kann nicht zustandekommen, wenn die innere Reaktionsbereitschaft ihren entsprechenden auslösenden Stimulus nicht finden kann.

Eine Mutter, die ihr Kind intuitiv vor Reizüberflutung beschützt, legt in ihm den Grundstock, aus dem eigenen Selbst heraus lernen zu können. Wenn die Mutter dazu nicht in der Lage ist, wird sein Bewußtsein entweder von der Erfahrung der Hilflosigkeit beherrscht, die es zu einem Versager macht, oder das Gefühl des Ausgeliefertseins wird verdrängt und vom sich bildenden Selbst gespalten. Mit solch einer Lösung muß alles, was an die Situation erinnert, in der die Erfahrung der Hilflosigkeit gemacht Wurde (wie zum Beispiel die empathische Erfahrung des Kindes und damit sein Menschlichsein), ausgeschaltet werden. Auf diese Weise werden ganze Teile seines angehenden Seins vom Bewußtsein abgespalten. Um diese Spaltung dann aufrechtzuerhalten, muß Hilflosigkeit zum Objekt der Ablehnung und des Hasses werden. Sie ist es, die einen bedroht, und nicht die Situation, die sie verursacht hat. So rächt man sich dauernd an allem, was die eigene Hilflosigkeit hervorrufen könnte. Deswegen verachtet man Hilflosigkeit bei anderen. Dieses Verachten verbirgt die dahinter stehende eigene Angst und fördert zugleich die Haltung des Verachtens und die Notwendigkeit einer kompensierenden Ideologie der Macht und des Herrschens. Auf diese Weise treten die Opfer auf die Seite ihrer Unterdrücker, um neue Opfer zu finden: ein endloser Prozeß, durch den der Mensch verunmenschlicht wird.

Und so wird alles, was zu einem eigenen Ansatz zur Autonomie führen könnte, gehaßt. Der unablässige Drang nach Erfolg und Leistung tritt an die Stelle der Autonomie. Aber Autonomiebestrebungen werden nicht nur abgelehnt, weil sie solche Menschen an ihre eigene Unterwerfung erinnern könnten. Vielmehr ist es so, daß wirkliche Autonomie die Machtspiele entlarvt, an die man sich, um der Hilflosigkeit zu entkommen, angepaßt hat. Da wir alle bis zu einem gewissen Grad solchen Vorgängen unterworfen sind, ist das Resultat eine allgemeine Tendenz zur Verunmenschlichung, auch wenn wir sie als solche gar nicht wollen.
"Der Verrat am Selbst"
Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen.
Echtes ehren, Schlechtem wehren, Schweres üben, Schönes lieben.
Musik aber macht das Herz weich; sie ordnet seine Verworrenheit, löst seine Verkrampftheit und schafft so eine Voraussetzung für das Wirken des Geistes in der Seele, der vorher an ihren hart und verschlossenen Pforten vergeblich geklopft hat. Ja, ganz still und ohne Gewalt macht die Musik die Türen der Seele auf. Nun sind sie offen! Nun ist sie bereit, aufzunehmen. Dieses ist die letzte Wirkung, die Musik auf mich ausübt, die sie mir notwendig macht in diesem Leben. Und so wenig ich mich wasche um des Wassers willen, das ich dazu benötige, so wenig höre ich Musik um der Musik willen.
Januar 1942
Gottes Natur ist, dass er gibt, und sein Wesen hängt daran, dass er uns gibt, wenn wir demütig sind. Sind wir das nicht, so empfangen wir auch nichts und tun ihm Gewalt an und töten ihn. Wenn die Seele der Zeit und des Raumes ledig ist, so sendet der Vater seinen Sohn in die Seele.
"Von guten Gaben"

Der Panther

Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, daß er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf –. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille –
und hört im Herzen auf zu sein.
Ich glaube, es ist schon ein Unterschied zwischen Vorbestimmen und Vorauswissen. Vorbestimmung lässt sich für mich viel schwerer, fast gar nicht eigentlich, mit dem freien Willen vereinbaren. Vorherwissen viel eher, obwohl es noch unbegreifliches Geheimnis bleibt. Übrigens ist „Vorherwissen“ menschlich gesprochen, da Gott ja nicht an unsre Zeit gebunden ist, man müsste die Vorsilbe „Vorher“ streichen und nur Wissen sagen.
12. Januar 1943
Ich finde die meisten Kinder ausgesprochen klug. Wenn die in Interviews gefragt werden, sind sie witzig und schnell und den Alten meistens überlegen.
HörZu (Oktober 2003)
Vor allem dürfen wir nicht dem Blick des SS-Mannes begegnen.

Die Feuchtigkeit des Auges, die Fähigkeit des Urteils, das ist es, was zum Töten reizt. Glatt muß man sein, uninteressant, schon abgestumpft. Jeder trägt seine Augen vor sich her wie eine Gefahr.
"Das Menschengeschlecht"
Seite 325
Jetzt freue ich mich wieder an den letzten Strahlen der Sonne, ich staune über die unerhörte Schönheit alles dessen, was nicht der Mensch geschaffen hat. Die roten Dahlien am weißen Gartentor, die hohen ernsten Tannen und die zitternden goldbehangenen Birken mit ihren jetzt leuchtenden Stämmen vor all dem grünen und rostfarbenen Laubwerk, die goldene Sonne, die die leuchtende Farbenkraft eines jeden einzelnen Dinges noch erhöht, anstatt, wie die glühende Sommersonne, alles, was sich neben ihr noch regen will, zu erdrücken. Alles ist so zum Staunen schön, daß ich noch nicht weiß, was für ein Gefühl mein sprachloses Herz dafür entfalten soll, denn für eine reine Freude daran ist es noch nicht reif genug, es staunt und begnügt sich mit entzücktem Staunen.

Ist es nicht auch Rätsels genug, und wenn man den Grund dafür nicht weiß, beinahe furchterregend, daß alles so schön ist? Trotz des Schrecklichen, das geschieht. In meine bloße Freude an allem Schönen hat sich etwas großes Unbekanntes gedrängt, eine Ahnung nämlich von seinem Schöpfer, den die unschuldigen erschaffenen Kreaturen mit ihrer Schönheit preisen.

Deshalb eigentlich kann nur der Mensch häßlich sein, weil er den freien Willen hat, sich von diesem Lobgesang abzusondern. Und jetzt könnte man oftmals meinen, er brächte es fertig, diesen Gesang zu überbrüllen mit Kanonendonner und Fluchen und Lästern. Doch dies ist mir im letzten Frühling aufgegangen, er kann es nicht, und ich will versuchen, mich auf die Seite der Sieger zu schlagen.
Brief an ihre Freundin Lisa Remppis (10.10.1942)
Was man sich jung vornimmt, das wird einem zur zweiten Natur. Zivilcourage ist für mich eine ganz wichtige, menschlich wichtige Eigenschaft. Daß man kein Denunziant ist, sondern daß man geradesteht, daß man sich für andere einsetzt. Und daß man nicht aufpaßt, ob etwas opportun ist, sondern etwas tut, weil man es tut, aus eigener Überzeugung. Das kann man lernen.

Und wenn man einmal gelernt hat, nicht wegzusehen, sondern hinzusehen, dann tut man es auch weiter. Die Jugend ist das beste Alter, um das vorzunehmen.
Noch ein weiterer Umstand muß erwähnt werden, der sich für die Nazis und ihren ungeheuer mächtigen Unterdrückungsapparat als günstig erweist: Die Entwicklung der modernen Technik verschafft den Herrschenden, wie man lange ungenügend verstanden hat, einen Vorteil gegenüber den Beherrschten. Je wirksamer die Waffen werden und je weniger man sich gegen sie schützen kann, desto mehr ist der Bewaffnete den Unbewaffneten überlegen. Die Bastille könnte im Zeitalter der Flugzeuge und des Tränengases nicht erfolgreich erstürmt werden. Mit Gewehren ausgerüstete Bürgerwehren haben keine Chance mehr gegen motorisierte Polizeitruppen; es hat keinen Sinn, Barrikaden gegen eine Regierung zu errichten, die über Panzer verfügt. Und nicht nur die Waffenentwicklung begünstigt im Falle einer Revolution die Machthaber, den Staat gegenüber den einzelnen: Die moderne technische Entwicklung und die damit einhergehende ausgeklügelte Organisation wirken in der gleichen Richtung. Der Verkehr hat dazu geführt, daß die Länder klein geworden sind und sich leicht überwachen lassen. Wie viele Verstecke hab es in einem Land vor hundert Jahren! Jede Macht stieß damals gegen natürliche Schranken! Heute gibt es kein Schlupfloch und keinen Schlupfwinkel mehr für den Rebellen. Selbst die Gedanken, die Mauern zu durchdringen vermögen, sind "steuerbar" geworden, da sie an die massenhafte Verbreitung von Nachrichten, an Rundfunk, Film und Presse, gebunden sind. Wie lange wird es dauern, bis jedes Haus sein eigenes Mikrofon hat und jedes private Wort, wie heute jedes Telefongespräch, abgehört werden kann? Der Ameisenstaat ist nahe. Es ist vielleicht kein Zufall, daß solche Staaten wie Deutschland und Rußland die Technik in den Rang einer Religion erhoben haben. Umgekehrt macht diese Entwicklung der modernen Technik die Bewahrung der Freiheit zu einer Menschheitsaufgabe, die dringlicher denn je ist. Aber das führt zu weit ab vom jetzigen Thema.
"Germany: Jekyll & Hyde (1939 - Deutschland von innen betrachtet)" (1940), S. 162